Was ist Ataxie?
Das Wort Ataxie stammt aus dem Griechischen (Аταξία) und bedeutet Unordnung oder Unregelmäßigkeit. Gemeint ist damit in der medizinischen Nomenklatur eine mangelhafte Koordination von Bewegungen, die an einer Ungeschicklichkeit der Hände, gestörten Zielbewegungen von Armen und Beinen, mangelhafter Koordination der Augenbewegungen sowie Störungen der Standfestigkeit und des Gangs erkennbar ist. Dabei ist diese Ungeschicklichkeit der Bewegungen nicht durch eine Schwäche der Muskulatur bedingt. Allerdings kann eine Ataxie durch eine zusätzliche Muskelschwäche kompliziert werden.
Von wesentlicher Bedeutung für koordinierte Bewegungen ist das Kleinhirn, das Informationen aus dem Großhirn, dem Hirnstamm, dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr sowie aus der Körperperipherie, d. h. aus Sensoren in Muskeln, Sehnen und Gelenken bekommt. Die peripheren Nerven und die Strangsysteme im Rückenmark leiten die Informationen aus der Körperperipherie zum Kleinhirn. Zu einer Ataxie kann es somit kommen, wenn das Kleinhirn nicht richtig funktioniert oder wenn es die notwendigen Informationen nicht erhält. Es gibt Erkrankungen, die nur das Kleinhirn betreffen oder solche, die nur Verbindungen zum Kleinhirn betreffen.
Bei den Heredo-Ataxien liegen meist Schädigungen vor, die sowohl das Kleinhirn als auch seine Verbindungen betreffen, wenn auch in unterschiedlichen Relationen zu einander. Wenn allein oder schwerpunktmäßig die Informationen aus Armen und Beinen nicht normal geleitet werden, spricht man von einer sensorischen Ataxie. Dann sind auch deutliche Störungen der Sensibilität, insbesondere des Lagesinns nachweisbar. Die Symptomatik verschlechtert sich besonders, wenn die optische Kontrolle (z. B. durch Augenschluss) wegfällt.
Was sind Heredo-Ataxien?
Heredo-Ataxien sind eine Gruppe von genetischen Erkrankungen, die das Nervensystem betreffen und zu fortschreitenden Bewegungsstörungen führen. Der Begriff "Heredo" verweist auf die erbliche Natur dieser Erkrankungen, während "Ataxie" sich auf Koordinationsstörungen bezieht, die aus einer Beeinträchtigung der Steuerung der Muskelbewegungen resultieren. Mittlerweile sind eine Vielzahl unterschiedlicher Ataxien-Arten bekannt, die je nach erkrankter Person und spezifischem Typ variieren können. Heredo-Ataxien sind insgesamt sehr seltene Erkrankungen. Die Häufigkeit der Friedreich-Krankheit oder -Ataxie als der häufigsten autosomal-rezessiven Heredo-Ataxie liegt in der Größenordnung von 1:50.000, die Häufigkeit der autosomal-dominanten Ataxien liegt in der Größenordnung von 1:100.000.
Überblick der Ataxie-Erkrankungen
Klinisch kann man langsam fortschreitende Ataxien (SCA) von episodischen Ataxien (EA) unterscheiden. Anders als bei den langsam fortschreitenden SCAs treten bei den EAs die Ataxie-Beschwerden nicht dauerhaft auf, sondern in zeitlich umschriebenen Attacken. SCA steht dabei für „spinocerebelläre Ataxie“, wobei „spino“ für das Rückenmark steht und „cerebelläre“ für das Kleinhirn, weil bei vielen Erkrankungen neben dem Kleinhirn auch Bahnen im Rückenmark betroffen sind. „Ataxie“ fasst das Hauptbeschwerdebild zusammen, also die Störung des Gleichgewichts und der Koordination.
Autosomal-rezessive Ataxien mit Beteiligung des Kleinhirns (= autosomal-rezesssive cerebelläre Ataxien, ARCAs) sind dadurch definiert, dass in einem Gen auf beiden Genkopien Genveränderungen (Mutationen) vorliegen – und nicht nur eine Genkopie mutiert ist, wie bei den autosomal-dominanten Ataxien. In der Regel wird jeweils eine der beiden Genveränderungen vom Vater und eine von der Mutter vererbt. ARCAs entstehen – wie auch autosomaldominante Ataxien – ebenfalls aus dem Abbau bzw. Funktionsverlust (= Degeneration) des Kleinhirns und seiner zuführenden Nervenfaserstränge.
Bei den erworbenen und symptomatischen Ataxie-Krankheiten werden zwei Arten unterschieden. Die alkoholbedingte Kleinhirndegeneration ist eine erworbene Ataxie, die als Folge von Alkohol-Missbrauch auftritt. Die symptomatische Ataxie ist eine erworbene Ataxie, die durch eine Fehlregulation des körpereigenen Immunsystems als Folge eines bösartigen, außerhalb des ZNS gelegenen Tumors entsteht.
Das Fragile-X-Tremor-Ataxie-Syndrom (FXTAS) ist ein neurologisches und psychiatrisches Krankheitsbild, das hauptsächlich, aber nicht nur, bei Männern ab der 6. Lebensdekade auftritt. Die neurologischen Hauptsymptome werden im Namen ausgedrückt: Tremor (Zittern) und Ataxie (Koordinationsstörungen). Es findet sich aber eine Reihe weiterer, vor allem auch psychischer Symptome.
Bei den nicht genetisch bedingten Ataxie-Krankheiten wird in zwei Arten unterschieden. Multisystematrophie (MSA) ist eine seltene, sporadische, progressiv verlaufende Erkrankung des mittleren und höheren Erwachsenenalters, die durch Neurodegeneration in den Basalganglien, im Kleinhirn, im Hirnstamm und den intermediolateralen Zellsäulen des Rückenmarks gekennzeichnet ist.
Bei vielen Patienten mit sporadischer, im Erwachsenenalter beginnender Ataxie sind weder die diagnostischen Kriterien einer Multisystematrophie erfüllt, noch ergibt die Suche nach genetischen und erworbenen Ursachen irgendwelche Ergebnisse. Diese Ataxie Form wird daher als Sporadische Ataxie unbekannter Ursache (SAOA) bezeichnet.
Bei Ataxien ohne bekannten Genlocus oder Genmutation konnte die genetische Ursache noch nicht identifiziert werden. Trotz der klinischen Diagnose einer Ataxie konnten bisher keine spezifischen genetischen Marker, also Mutationen in bestimmten Genen oder Genloci, gefunden wurden. Diese Art von Ataxie kann sporadisch auftreten, das heißt, ohne erkennbare familiäre Häufung, oder es gibt eine familiäre Häufung, aber keine bekannte genetische Ursache. Die Forschung zur genetischen Grundlage dieser Ataxien ist jedoch in vollem Gange. Zu dieser Ataxieform gehört die früh beginnende zerebelläre Ataxie (EOCA).
Die Erbgänge
Genetische Vererbung erfolgt in unterschiedlichen Mustern und hat weitreichende Auswirkungen auf die Ausprägung genetischer Merkmale und Krankheiten. Hierbei kann unterschieden werden in verschiedene Erbgänge: Die Vererbung von Genen auf den Nicht-Geschlechtschromosomen (Autosomen) kann im homozygoten oder heterozygoten Zustand erfolgen, wobei im letzteren Fall das Vorliegen von Mutationen zu dominanten oder rezessiven Erbkrankheiten führen kann. Geschlechtsgebundene Gene, vor allem auf dem X-Chromosom, zeigen spezifische Muster, die das Risiko für Erkrankungen bei Männern und Frauen unterschiedlich beeinflussen. Schließlich gibt es den mitochondrialen Erbgang, der ausschließlich mütterlich vererbt wird und bei dem Mutationen in den Mitochondrien zu Krankheiten führen können, deren Ausprägung variabel ist.